Nachwuchsförderung muss auf den Prüfstand
von Rüdiger Barney

Um es gleich vorweg zu sagen: Den Fußball nehme ich raus, aus zweierlei Gründen. Erstens sprengt er durch exorbitante Geldbeträge alle sittlich-moralischen Grenzen und Normen und entzieht sich damit jeglicher vergleichbarer Beurteilung. Und zweitens scheint die Öffentlichkeit in dieser Frage, wohl wegen der unvergleichlichen Ausstrahlungskraft, nicht sonderlich gesprächsbereit. Der Fußball
ist sozusagen sakrosankt!

Aber es bleibt ja weiß Gott auch noch genug Gesprächsstoff für die anderen olympischen Sportarten, versammelt und angetreten zu den Spielen von Rio de Janeiro 2016. In einem krisengeschüttelten Brasilien, dessen verarmte Bewohner sich inzwischen eher um ihr tägliches Auskommen als um Olympia kümmern.

Auch der Hochleistungssport in dieser Welt wird – leider – verstärkt überschattet von negativen Schlagzeilen: Korruptionsverdacht bei der Vergabe von Tokio 2020, Dopingvergehen ganzer Sportverbände, Querelen einzelner Sportlerinnen und Sportler mit ihren Verbänden.

Und auch die Nachwuchsförderung, hochgefördert vom Innenministerium, kommt immer stärker ins Gerede. Vor allem deswegen, weil sie ihr Ziel, Kinder und Jugendliche für den Leistungssport zu motivieren, nicht mehr ausreichend erfüllt. Und auch bei den Schulen des Nachwuchsleistungssports, den Eliteschulen des Sports, sollte man die „Henne-Ei-Frage“ stellen: Sind die jungen Menschen in unserer Konsumgesellschaft nicht mehr bereit, sich für den Leistungssport ausreichend zu mühen, oder mühen sie sich nicht ausreichend, weil die Gesellschaft es nicht schafft, sie genügend zu
motivieren?

Die Verantwortlichen der Berliner Eliteschulen des Sports täten gut daran, sich mit diesem Kausalitätsproblem näher zu befassen. Einige fortschrittliche Eliteschulen des Sports in anderen Bundesländern erarbeiten bereits Lösungsmodelle, Chapeau!
In Berlin dagegen, so drängt sich der Verdacht auf, ist man in eine Starre verfallen. Wie das Kaninchen und die Schlange: Bildungsverwaltung und Sportverbände – keiner macht den ersten Schritt!

Ein trauriges Beispiel aus jüngster Zeit geben die eingebrochenen Schüler- Anmeldezahlen an der Poelchau-Oberschule, dieser in den vergangenen zehn Jahren so prosperierten Eliteschule des Sports, jetzt exklusiv angesiedelt auf dem Olympiagelände. Nur 62% Anmeldequote – da ist offenbar einiges schief gelaufen in den vergangenen zwei Jahren. Gleichwohl übt man sich weiter in Enthaltsamkeit und Ausflüchten. Haben die Protagonisten denn keine Ideen, keine Visionen? Oder macht man diese vielleicht unverständlicherweise nicht publik?

Leider liegt eher die Vermutung nahe, dass die Berliner Eliteschule des Sports zunehmend und verstärkt versucht, die Wesensmerkmale der Kinder- und Jugendsportschulen, jener Kaderschmieden der DDR, zu kopieren und dabei auf eine automatische Übernahme der sportlichen Erfolge hofft. Seinerzeit bedeutete es eine Ehre, Schüler der KJS zu sein und die Schulen konnten sich vor leistungswilligen Schülerinnen und Schülern nicht retten. Die Adaption wird allerdings schon deswegen nicht funktionieren, weil die neue Gesellschaft andere Maxime postuliert, weil sich nunmehr kritischere Elternhäuser selbstbestimmt und partizipatorisch um ihre Kinder sorgen und sehr gezielt die Schule ihrer Wahl aussuchen.

Vielleicht bietet aber die momentane Schülerzahlenkrise gerade eine neue Hoffnung, einen Ansporn, für die Berliner Eliteschule des Sports neue Perspektiven zu entwickeln: Öffnung der Schulen „nach außen“, offensives Werben um beste Bildung „ohne Abstriche“ mit dem Gymnasium als bevorzugter Schulform, pädagogisch dominierte Einzelfallentscheidungen, Vernetzung mit der Sportwissenschaft und deren neueren Entwicklungen wie Sportmanagement, gestärktes Selbstbewusstsein der Einzelschule, offen für unkonventionelle Ideen.

Mit sehr viel Engagement und Arbeit werden sich dann Erfolge einstellen und wir werden Sportlerinnen und Sportler beobachten dürfen, die selbstbestimmt auftreten und ihre Wettkämpfe erfolgreich bestreiten. Für Rio wird das allerdings nicht mehr reichen!


Zum Autor:
Rüdiger Barney, Jahrgang 1948, leitete 17 Jahre als Direktor die Poelchau-Oberschule, eine Eliteschule des Sports und Eliteschule des Fußballs in Berlin. Neben vielen Aufsätzen zur Thematik Schule und Sport veröffentlichte er 2014 sein erstes Buch mit dem Titel „Die Eliteschule des Sports – der Königsweg?“. Es wurde bisher 500 mal verkauft. Barney ist in der Berliner Schul- und Sportszene als Querdenker bekannt, genießt aber wegen seiner unbestrittenen Expertise großen Respekt.